Kleine Wörterkunde
Wesen = philosophischer Fachbegriff für das, was einer Sache ganz charakteristisch zu eigen ist.
Wesentlich = der Sache zuträglich, maßgeblich
Wesensart = spezielle Ausprägung, Charakter
Wesensmäßig '= gleichbedeutend, vergleichbar
Wesensgemäß = dem Wesen entsprechend
wesensgemäße Haltung von Tieren = Eine Haltung, welche die Tiere ihrem Wesen entsprechend ergänzt.
Soll heißen: Das Tier wird nicht als räumlich und zeitlich abgeschlossenes Individuum betrachtet, sondern als Teil eines größeren und umfassenderen Systems. Ein Ökosystem bringt das Tier in seinen spezifischen Eigenschaften hervor, das Tier beeinflusst seinen Lebensraum durch seine Lebenstätigkeit. Das Tier hat durch seine spezielle Entwicklung, Spezialisierung, eine Affinität zu ganz speziellen Landschaftsbestandteilen. Es ist Bestandteil dieser Landschaft (speziell und allgemein) und umgekehrt. Will man das Tier seinem Wesen entsprechend halten, so bildet man einen Teil der Landschaft nach, die spezifischen Lebensgewohnheiten fördernd.
Kleines Beispiel: Die Dreifarbennonne (Munia malacca malacca) ist ein Bewohner offener Graslandschaften mit Bäumen und Sträuchern durchsetzt. Hochgrasfluren werden als Nist- und Nahrungsstandorte bevorzugt. Offenes Wasser, insbesondere Sümpfe sind unabdingbar. Die Nahrung besteht hauptsächlich aus Sämereien, insbesondere Gräser. Die Jungen werden überwiegend vegetarisch ernährt mit Grünfutter.
Das ganze Wesen des Vogels, der Art, ist auf das Leben zwischen Grashalmen ausgelegt. Sie klettern geschickt an vertikalen Halmen und vermögen Samenstände heranzuziehen und mit dem Fuß zu fixieren. Die Dreifarbennonne wird durch Reisanbau stark gefördert und gilt als Ernteschädling.
Eine Haltung der Dreifarbennonne berücksichtigt das und stellt entsprechende Strukturen im Gehege zur Verfügung. Individuelle Ausprägungen der Einzeltiere werden NICHT berücksichtigt, denn sie spielen KEINE Rolle. Es geht um die Eigenheiten der Art.
Artgerecht nach derzeitiger Definition berücksichtigt NICHT die naturhafte Strukturierung des Geheges, sondern nur dessen Größe und die Zusammensetzung des Futters, sowie gegebenenfalls die Anreicherung des Geheges, um dem Tier das Ausleben seiner Verhaltensweisen zu ermöglichen.
Die wesensgemäße Haltung von Nymphensittichen bietet diesem sehr schnellen Flieger genügend Strecke, um ihm das Erlebnis Geschwindigkeit zu ermöglichen. Kahle Baumskelette zum Rasten genügen ihm, der Boden wird mit Rasen gestaltet und mit niedrigen Sträuchern angereichert. Das Futter besteht aus trockenen Saaten, grünen Pflanzenteilen und Wasser. Obst wird nur gelegentlich genommen, Insekten als Beikost zur Brutzeit sowie dann auch alle Saaten gequollen und gekeimt. Keine ausgeprägte Territorialität. Sehr vorsichtig bei neuen Eindrücken, ängstlich. Gruppenhaltung, Brutzeit nicht an bestimmte Zeiten gebunden. Das heißt, dass der Nymph nur trockene Sämereien und etwas Grünfutter erhält, nur zum Anregen des Bruttriebs Keim- und Quellfutter.
Die Wesensgemäße Haltung von Pennatsittichen ist ganz anders, er ist Bewohner von Hochwäldern. Gedämpftes Licht mit Sonnenstellen und dichte Vegetation sind sein Eigen, als guter Flieger, der Balzflüge vorführt benötigt er ebenfalls großzügigen Flugraum. Der Boden ist Waldboden mit Laub und Kräutern. Das Nahrungsspektrum ist sehr weit. Viel Grünfutter, Obst, Gemüse, und Sämereien, bevorzugt gequollen oder halbreif, Knospen und Blüten sowie tierisches Eiweiß. Sehr territorial. Sehr flexibel bei neuen Eindrücken, wenig ängstlich. Nur Paarhaltung, Saisonbrüter. Das ganze Jahr über abwechslungsreich, Bruttrieb wird durch Tageslänge und Temperatur mitbestimmt. Keimfutter als Stimulator des Bruttriebs förderlich.
Anreicherung der Gehege mit Steinen o.Ä. ist mehr für's Auge aber nicht wesentlich. Bruthöhlen ggf. für den Bruttrieb. Es gibt noch viele Parameter, die eine Haltung dem Wesen der Art immer mehr annähern.