Papageien und Raben denken anders

  • Papageien und Raben denken anders


    Thomas Bergmayr, 8. Februar 2010, 21:12


    Ein aktuelles Forschungsprojekt der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau
    geht den evolutionären Grundlagen von tierischer Intelligenz nach

    Ihre außerordentlich hohe Intelligenz ist mittlerweile unbestritten. Sie
    können einfache Rechenaufgaben lösen, verbergen Nahrungsvorräte vor
    Fressfeinden und benutzen bei der Futtersuche auch schon mal Werkzeuge.
    Rabenvögel und Papageien sind offensichtlich zum Denken befähigt. Aber
    sind die Tiere zu regelrechten logischen Schlüssen in der Lage? Erste
    Ergebnisse eines derzeit laufenden Forschungsprojektes der
    Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) in Grünau legen diesen Schluss
    nahe.


    Konkret wollen die beiden Verhaltensforscher Kurt Kotrschal und
    Christian Schloegl mit ihrem Team der Frage nach den evolutionären
    Mechanismen nachgehen, die der Entwicklung von Intelligenz zugrunde
    liegen. Hauptakteure des Projektes "Denken bei Vögeln" ("Reasoning in
    birds") sind aber Graupapageien und Keas einerseits und Kolkraben,
    Neukaledonische Krähen und Eichelhäher andererseits.


    Beide Vogelgruppen zeigten bereits bei früheren Experimenten ein
    hohes Maß an Intelligenz. Nur in der Ausformung und Anwendung ihrer
    kognitiven Fähigkeiten unterscheiden sie sich stark. "Der Grund dafür
    liegt in der Verschiedenartigkeit ihrer Lebensweisen und
    Umweltbedingungen," erklärt Kotrschal im derStandard.at-Gespräch.
    Kolkraben beispielsweise gelten als klassische Futterverstecker. Sie
    müssen sich gegenüber Nahrungskonkurrenten aus den eigenen Reihen und
    Fressfeinden durchsetzen. Die neuseeländischen Keas dagegen haben mit
    diesen Problemen nicht zu kämpfen.


    Perspektivenwechsel


    Dementsprechend zeigen die Kolkraben ein Verhalten, das darauf
    schließen lässt, dass sie zu einem Perspektivenwechsel fähig sind.
    Werden die Tiere beim Anlegen eines Nahrungsversteckes beobachtet und
    bemerken sie das, dann suchen sie sich einen neuen Platz für ihr Lager.
    "Das zeigt uns, dass Kolkraben dazu in der Lage sind, sich in andere
    Tiere hineinzuversetzen," meint Kotrschal.


    Auch im Experiment werden die unterschiedlichen Ausformungen der
    jeweiligen Intelligenz bei Papageien und Rabenvögeln offenkundig. Dass
    sich dabei besonders die Kolkraben als "logische Denker" hervortun,
    zeigte folgender Versuch: Die Forscher von der
    Konrad-Lorenz-Forschungsstelle präsentierten den Vögeln zwei Becher,
    wovon einer Futter enthielt. Gezeigt wurde den Raben allerdings nur
    jener Becher, unter dem sich kein Leckerbissen befand. Die Tiere zogen
    daraus den Schluss, dass das Futter folglich unter dem anderen Becher
    sein muss. Papageien hatten mit dieser Versuchsanordnung im Unterschied
    zu den Raben ihre liebe Not. Hunde tun sich übrigens ebenso schwer mit
    diesem Test, wie Kotrschal anmerkt.


    Logische Problemlöser


    Bei einem anderen Experiment tritt die hohe kognitive
    Leistungsfähigkeit der Kolkraben noch verblüffender zutage. Die Forscher
    verbargen Futter in etwa 30 Zentimeter lange gerade und mit einem Knick
    versehene Röhren. In beiden Fällen hatten die Kolkraben keine
    Schwierigkeiten an die Leckereien zu gelangen. "Das zeigt uns, dass die
    Vögel das Prinzip 'gebogene Röhre' verstanden haben. Auch hier waren die
    Papageien klar im Nachteil. Verblüffend war vor allem die
    Herangehensweise der Vögel an die Versuchsanordnung: "Die Raben waren
    nicht etwa durch Versuch und Irrtum erfolgreich, sondern betrachteten
    zuerst die Situation und entschieden sich dann für eine Lösung, die in
    den meisten Fällen auch erfolgreich war," meint Kotrschal.


    Nicht nur zwischen Papageien und Raben, auch innerhalb der Rabenvögel
    schnitten die einzelnen Arten unterschiedlich gut ab. Dohlen etwa
    hätten die Aufgaben weniger erfolgreich gelöst wie die Kolkraben. "Dies
    bedeuten aber nicht, dass Kolkraben generell intelligenter sind. Es
    spricht vieles dafür, dass die Versuchsanordnungen ihren Fähigkeiten als
    Futterverstecker entgegen kamen ", vermutet der Verhaltensforscher.


    Geistig noch viel begabter sind in diesem Zusammenhang die Häher.
    Laut Kotrschal würden sich Eichelhäher im Laufe ihres Lebens bis zu
    30.000 Futterverstecke merken können. "Das übertrifft die menschlichen
    Fähigkeiten um ein Vielfaches." Dabei dürfte auch die Qualität der
    versteckten Nahrung eine Rolle spielen. Je lieber sie eine bestimmte
    Futtersorte hätten, umso besser würden sich die Eichelhäher die
    entsprechenden Lager merken, so Kotrschal.


    "All das zeigt, dass die verschiedenen Vogelarten ihre Intelligenz
    ganz unterschiedlich einsetzen. Ihre Strategien sind von Lebensraum,
    Umwelt und der Art der Fressfeinde abhängig.", meint der Wissenschafter.
    Die evolutionären Grundlagen hätten demnach bei den einzelnen
    Vogelarten unabhängig voneinander zur Entwicklung von Intelligenz
    geführt. Welche Bedingungen generell zu Herausbildung von geistigen
    Spitzenleistern führen, sei vorerst noch unklar. Fest stehe allerdings,
    dass es sich um einen hohen Grad von Anpassung handelt, der in engem
    Zusammenhang mit einem regen Sozialleben steht.


    Intelligenz mit Halbwertszeit


    Was die Entwicklung von Intelligenz betrifft stehen einander derzeit
    zwei Theorien gegenüber: Die Adaptivitätstheorie geht davon aus, dass
    jede Art sehr spezifische Intelligenzleistungen entwickelt; die
    General-Intelligence-Hypothese besagt, dass der evolutionäre Druck, der
    zur Entwicklung von höherer Intelligenz führte, eine Art genereller
    Intelligenz hervorbrachte. Kotrschal, Schloegl und ihr Team tendieren
    eher zur speziellen Anpassungstheorie.


    Die aktuellen Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass die Natur
    bereits in der Vergangenheit geistige Spitzenleister hervorgebracht hat.
    "Es spricht nichts dagegen, dass es auch unter den Dinosauriern
    einzelne Arten mit hohen kognitiven Fähigkeiten gab. Wie man am Beispiel
    der Vögel sieht, spielt die Gehirngröße für sich allein keine so große
    Rolle.", meint Kotrschal. "Allerdings weist dieser hohe
    Spezialisierungsgrad eher darauf hin, dass hohe Intelligenz eine
    Eigenschaft mit vergleichsweise geringer Halbwertszeit ist." (Thomas
    Bergmayr, derStandard.at, 22. April 2009)


    Hintergrund


    Im Rahmen des Projektes "Denken bei Vögeln" ("Reasoning in birds")
    kooperiert das Team rund um die Verhaltensforscher Christian Schloegl
    und Kurt Kotrschal mit Ludwig Huber und Gyula Gajdon vom Department für
    Neurobiologie und Kognitionsforschung und der ARGE Papageienschutz,
    sowie mit Wissenschaftern von der Universität Oxford und der Universität
    Triest.



    Abstracts
    + Current Biology: Jackdaws Respond to Human Attentional States and Communicative Cues in Different Contexts
    + Current Biology: Animal Cognition: Rooks Team up to Solve a Problem
    + Animal Behaviour: Gaze following in non-human animals: The corvid example


    Link
    + Reasoning in birds (Konrad Lorenz - Research Station)


    Nachlese
    + Dohlen können menschliche Blicke "lesen"




    Quelle

    Ist eine Sache einmal verdorben, so nutzt es nichts mehr, im Nachhinein mit "Liebe" und "Pflicht" herumzufuchteln. (lieh-tzu)
    Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. (Albert Schweitzer)