Individuelle Erkennung, "Stimmen", "Dialekte"

  • Individuelle Erkennung, "Stimmen", Dialekte" - Zusammenfassung einiger hochinteressanter Arbeiten dazu:


    Graupapageien und Meyer`s-Papageien erkennen ihren Nachwuchs (auch) an der "Sprache".


    Masin, Massa & Bottoni (2003) konnten an Hand sonografischer Aufzeichnungen nachweisen, daß die Jungvögel von Meyer`s-Papageien (Poicephalus meyeri) spezifische Lautmuster vom Vater nachahmen und in ihr Repertoire übernehmen. Zu gleichen Ergebnissen kamen sie auch in Bezug auf Graupapageien (Psittacus erithacus erithacus). Die Arbeiten belegen, daß zumindest bei diesen Arten die direkte Nachkommenschaft an dem vom Vater übernommenen Lautrepertoire von den Eltern identifiziert werden kann.


    Ob das auch für andere Arten zutrifft? Es ist zu vermuten.


    Daß Papageien sich individuell ohne Sichtkontakt nur an der Stimme erkennen (vermenschlicht: das ist Fritz, das ist Franz, das ist Hans) zeigen verschiedene Arbeiten.


    Zur akustischen Individualerkennung bei Blaustirnamazonen schildert Jana Weinhold (1998 ) ihre Beobachtungen einer Volierengruppe: "So kommunizierten hauptsächlich befreundete Individuen von Außen- zu Innenbereich, ohne dass Blickkontakt bestand. Selbst dem geübten Beobachter bzw. Halter ist es möglich, die Vögel an ihrer Stimme zu unterscheiden."


    Die Amazonen erkannten also nicht nur die Art, sondern "wußten" auch, mit welchem Exemplar sie sich "unterhielten".


    Snyder, Wiley & Kepler (1987) kommen zu dem Ergebnis, daß eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür vorliegt, daß Puerto-Rico-Amazonen sich schon alleine an den Lautäußerungen individuell erkennen können.


    Masin, S., R. Massa & L. Bottoni (2003): Subsond development in fledgling Meyer´s Parrots Poicephalus meyeri: tutoring evidences, Universita degli Studi Milano Bicocca, Dipartimento de Scienze dell `Ambiente e del Territorio, Milano


    Snyder, N. F. R., R. W. Wiley und C. B. Kepler (1987): Natural History and Conservation of the Puerto Rican Parrot, Western Foundation of Vertebrate Zoology, Los Angeles


    Weinhold, J. (1998 );: Analyse des Sozialverhaltens einer Gemeinschaft von Blaustirnamazonen Amazona aestiva (LINNE 1758 ) in Volierenhaltung, in Parrot Biology, Vol. 2, Jun. 1998, Arndt-Verlag, Bretten


    Für die Gelbnackenamazone (Amazona auropalliata auropalliata) sowie für einige andere Amazonenarten konnte mittels Tonaufzeichnungen bei an verschiedenen Örtlichkeiten ansässigen Populationen die Herausbildung unterschiedlicher Dialekte nachgewiesen werden. Auf dem Grundmuster des arteigenen Lautrepertoires aufbauend entwickelten sich unabhängig voneinander Variationen von Lauten und Lautfolgen. Wright & Dorin (2001) haben mittels Playback-Experimenten unter anderem das Zusammentreffen von Gelbnackenamazonen mit nördlichem Dialekt und Amazonen, welche einen anderen (südlichen Dialekt) nutzen, an unterschiedlichen Lokalitäten und in unterschiedlichen Zusammenhängen, dokumentiert. Das sogenannte Duetten von Paaren der Gelbnackenamazone als besondere Form des besitzanzeigenden vokalen Kommunizierens unterliegt ebenfalls den Unterschiedlichkeiten der beiden Dialekte.


    Unter diesem Link = duettierende Gelbnackenamazonen.


    Die jeweils unterschiedlichen Dialektgruppen reagierten aufeinander mit hochaggressiven Drohlauten, die ansonsten nur im Rahmen direkter physischer Auseinandersetzungen Anwendung finden.


    Wenn man es (wiederum in menschliche Kategorien "übersetzt") so nennen möchte: unterschiedliche Ausdifferenzierung einer auf der gleichen Syntax und Grammatik aufbauenden "Sprache". Angehörige einer jeweils gleichen Art "sprechen" (also auch bei Psittaziden) je nach lokaler Herkunft (und Tradition - wobei "Traditionsbildung" bei Tieren wieder ein eigenes Thema ist) in einem unterschiedlichen "Slang". Deutscher. Hamburger. Pfälzer.


    Zu erwähnen sind in diesen Zusammenhängen natürlich auch die Playback-Experimente von Ralf Wanker (mit Augenring-Sperlingspapageien).


    Wanker, R., Y. Suguma und S. Prinage (2003): Augenring-Sperlingspapageien (Forpus conspicillatus) benutzen verschiedene Kontaktrufe für verschiedene soziale Interaktionspartner, Zoologisches Institut und Zoologisches Museum, Universität Hamburg, Forschungsseminar 2003


    Wright, T. F. & M. Dorin (2001): Pair duets in the yellow-naped amazon (Psittaciformes: Amazona auropalliata): responses to playbacks of differenz dialects. Ethology 107, 111 - 124


    Fortsetzung folgt.

    Ist eine Sache einmal verdorben, so nutzt es nichts mehr, im Nachhinein mit "Liebe" und "Pflicht" herumzufuchteln. (lieh-tzu)
    Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. (Albert Schweitzer)

  • Fortsetzung:


    Mittels sonografischer Aufzeichnungen kann man sehr exakte Vergleiche anstellen.


    Beispiel: Lautäußerungen der Blaustirnamazone (hinterlegt mit Sonogramm).


    Das auch bei Papageienvögeln dokumentierte antiphonische Singen (Duettieren), wobei von einem Paarpartner nur ein Strophenteil vorgetragen wird und der Gegenpart einfällt und die Fortsetzung vorträgt, ist ebenfalls Beleg individualisierter Lautäußerungen. Hierzu Heini Hediger (1984): "Die erste Strophenhälfte hat den Charakter eines Eigennamens, d. h. eines individuellen Ausrufenamens." Hooker & Hooker (1969) machten in Bezug auf Kolkrabe und Schamadrossel die bemerkenswerte Beobachtung: "(...) wenn der Partner abwesend war, pflegte der andere Töne zu äußern, die normalerweise für den abwesenden Vogel reserviert waren, mit dem Ergebnis, daß der abwesende Partner zurückkam, als ob er beim Namen gerufen worden wäre." Leyhausen (1967) zu den beobachteten Effekten: "Man mag die Tatsache selbst aber betrachten wie man will, im Effekt ist es so: Die Tiere rufen sich beim Namen." Duettgesänge sind für viele Papageienarten beschrieben. Auch für den in dieser Hinsicht bisher unbeschriebenen Graupapagei gibt es mittlerweile entsprechende Annahmen: Stefan Luft (1994) schreibt, "(...) dass es sich bei den Lautäußerungen des Graupapagei um eine Form des Duettgesangs handeln könnte", welcher der "Individualerkennung sowie (...) Übermittlung differenzierter Informationsinhalte" dienen könnte.


    Hediger, H. (1984): Tiere verstehen - Erkenntnisse eines Tierpsychologen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München


    Hooker, T. & B. I. Hooker (1969): Duetting, in: R. A. Hinde (Hrsg.), Bird Vocalization, Cambridge Univ. Press.


    Leyhausen, P. (1967): Biologie von Ausdruck und Eindruck, Psychol. Forschung 31


    Luft, St. (1994): Der Graupapagei - Lebensweise, artgemäße Haltung und Zucht, Naturbuch Verlag, Augsburg

    Ist eine Sache einmal verdorben, so nutzt es nichts mehr, im Nachhinein mit "Liebe" und "Pflicht" herumzufuchteln. (lieh-tzu)
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