Hänschen im Glück oder die Geschichte von einem, der nicht wusste, ob er Vogel oder Mensch sein sollte.

  • Es begann in einer kleinen Außenvoliere mit den Würfelmaßen von zwei Metern. Ein kleines Kabäuschen war dabei, wo das Futter gereicht wurde und ein wenig Schutz vor allzu grimmigem Wetter war. :)


    Nymphfried und Nymphigunde bewohnten dieses kleine eigene Reich, das zwischen Bäumen und Sträuchern errichtet wurde. Sie waren Nymphensittiche ganz in weiß, mit gelbem Kopf und ihrem reizvollen roten Fleck auf den Wangen. Wie kleine Engel sahen sie aus, ganz besonders, wenn sie mit weit gespreizten Flügeln und Schwanzfächer Kopf abwärts am Gitter ihres Zuhauses hingen. :love:


    Im Frühjahr dann haben sie einen Brutblock bezogen und sieben Eier hinein gelegt. Eines Tages verunglückte Nymphigunde, wohl in Panik als ein Sperber auf der Voliere landete. Sie hatte fünf Junge und zwei noch ungeschlüpfte Eier. Nymphfried konnte die Jungen allein nicht aufziehen, weil er programmmäßig nicht nachts auf dem Nest saß. Jeden Morgen war folglich eines der Jungen, das am Rand saß, gestorben. Die letzten beiden Jungen nahm ich in meine Obhut, um sie groß zu ziehen. :huh:


    Ich hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Es war meine erste Handaufzucht von Papageien. Das größte Problem war das richtige Futter zu finden. Ich fand ein sehr teures Präparat aus Amerika. Bis ich dieses hatte, fütterte ich einen Brei aus Haferflocken und geschälter Hirse und noch Zutaten, die ich aber nicht mehr erinnern kann. Sie wuchsen sehr langsam und verdauten auch nicht richtig. Als ich dann das Präparat hatte, wuchsen sie dann sehr gut, nur bekam das jüngere Küken Rachitis und die Flügel drohten zu verkrüppeln. Der Tierarzt fixierte die Flügelchen mit Klebeband und verordnete ein Kalziumpräparat. Das Vögelchen wurde gesund und wuchs prächtig. Schließlich hatte ich alle Schwierigkeiten in den Griff bekommen. :|


    Hänschen und seine ältere Schwester Gretchen wuchsen also gemeinsam als Handaufzucht auf. Dem entsprechend furchtlos und anhänglich waren sie auch. Sie lebten im Haus mit meiner Familie. Eines Tages jedoch wurde Gretchen krank. Der Tierarzt kannte sich offenbar nicht aus und diagnostizierte Durchfall. Die Therapie schlug nicht an. Einen Tag später starb Gretchen unter sichtlichen Schmerzen und Erschöpfung wahrscheinlich wegen einer Entzündung des Legedarms. ;(


    Weil ich wollte, dass Hänschen ein richtiger Nymph werden sollte, habe ich ihm ein neues Weibchen besorgt, ein sehr schönes geperltes, welchem ich den Namen Lieschen gab. 8) Hänschen mochte sein Lieschen aber nicht sonderlich. Er lies sich von ihr kraulen, kraulte aber nicht zurück sondern war ihr gegenüber etwas griesgrämig und hackte sie. Er wollte lieber zu mir, als zu Lieschen. Ich habe meine Kontakte auf füttern und reinigen beschränkt. Doch spürte ich, dass Hänschen sehr darunter litt. :thumbdown:


    Eines Tages bemerkte ich, dass Lieschen dem Hänschen Federn, vor allem neusprießende Kiele ausrupfte. :evil: Ich vermutete Nährstoffmangel und gab mehr Kalzium und auch Weichfutter für Insektenfresser, was man Papageien als Beifutter geben kann, wenn sie gerade Junge aufziehen. Davon fraß Lieschen gierig aber unterließ das Rupfen nicht. Sie legte Eier auf den Käfigboden, die ich entfernte. Ich bekam allmählich den Eindruck, dass auch Lieschen, die nie zahm wurde wie Hänschen, unglücklich sein musste. :S


    Aus dem Himmel kam Fritzchen herab, ein entflogener, gescheckter Nymph, der sich auf den Käfig setzte, als ich diesen nach draußen schob, damit die beiden frische Luft tankten. Fritzchen nahm ich ebenfalls auf. Er war ebenfalls eher distanziert zum Menschen, doch er ließ sich mit dem Käfig ins Haus schieben. Ich bemerkte, dass er sich zwischen Hänschen und Lieschen drängte. Lieschen war ihm wohl zugetan, Hänschen jedoch verteidigte seinen Anspruch und griff Fritzchen an. Er war ihm aber unterlegen. Diese Dreierkonstellation war wohl zu viel für Hänschen, der begann, seine Federn abzubeißen. Selbst die Trennung von Fritzchen und Wiederherstellung der ehemaligen Verhältnisse änderten das nicht mehr. Nach einigen Wochen hat er sich alle Federn an Flügel und Rumpf abgekaut und Lieschen rupfte weiter seinen Kopf, sodass er schließlich wie eine Karrikatur eines Vogels aussah, der in einen Ventilator geraten zu sein schien. Ratzfatz hätte nun Hänschens Name sein können. :pinch:


    Lieschen und Hänschen zogen in eine neu erstellte große Freivoliere. Hänschen klebte jedes mal an mir, wenn ich zum Füttern und Säubern in die Voliere ging. Dennoch brütete er zwei mal erfolgreich mit Lieschen. Diese jedoch rupfte außer ihren Gatten auch noch die Jungen. Lehrreich tat auch Hänschen dieses, weil er wohl meinte, man müsse so etwas machen, um die Jungen gut aufzuziehen. Schließlich trennte ich mich von Lieschen. Ich war der Überzeugung, dass diese Ehe einfach unglücklich ist, trotz des Nachwuchses.


    Ich besorgte für Hänschen ein weißes Weibchen. Bis dahin lebte Hänschen wieder im Haus in der Familie, rupfte sich und nahm eine Barbiepuppe als zeitweiligen Partner an. Er balzte die Puppe, die in etwa so groß ist, wie ein Nymph, an und setzte sich ganz eng an sie. 8|
    Das neue Weibchen war nun weiß wie er und wie seine verstorbene Schwester. Er war sichtlich angetan und die beiden wurden ein Paar. Zwar etwas stoffelig, kraulte er sein Helenchen nicht so hingebungsvoll, wie sie ihn, aber er war wohl wesentlich zufriedener. :love: Das Selbstrupfen lies etwas nach, hörte aber nicht ganz auf. Ganz allmählich erwarb er seine Flugfähigkeit zurück und sein Federkleid wurde wieder vollständiger. Nur wuchsen ihm nun gelbe Federn, anstatt weiße. Das wies auf Leberprobleme hin.


    Im Frühjahr zog das Paar wieder in die Freivoliere und brüteten sehr bald. Hänschen rupfte seine Jungen, wie er es gelernt hatte, das war schade. Aber mit dem Keimfutter und zusätzlichen Vitaminen, die ich reichte, bekam er allmählich wieder sein strahlend weißes Federkleid, was auch irgendwann völlig geschlossen war. Mehrmals haben die beiden Junge groß gezogen und das Rupfen der Jungen hörte ebenfalls auf. Hänschen war wieder ein schöner Engel, wie ein richtiger, weißer Nymph. :love: Dennoch hing er anscheinend mehr an mir, als an dem Leben in einer Freivoliere mit Artgenossen. 8| Ab und zu nahm ich ihn zu mir und wir tauschten Freundlichkeiten aus. Dann erst sah Hänschen ganz entspannt aus und ruhte auf meiner Schulter oder meinem Schoß. Die Trennung fiel ihm immer sehr schwer. Ich wurde ihn kaum wieder los. :pinch:


    Einmal lebten auch Wellensittiche in der gleichen Voliere. Diese zogen ebenfalls einmal Junge auf. Ein zweites mal wollte ich ihnen nicht erlauben und entfernte den Nistkasten. Sie wollten dann eines Tages in den Nistkasten der Nymphen erobern und bissen die Jungen. Hänschen verteidigte sein Nest energisch, aber die Wellensittiche fügten ihm Bisswunden an Flügeln und im Gesicht zu. Nachdem ich den Wellensittichen den Kasten wieder hin gehängt hatte, wurden sie wieder friedlich, ich tauschte ihre Eier gegen Kunsteier aus. X(
    Unglücklicher weise hielt ich später auch Pennantsittiche. Zwei Jahre lebten sie gemeinsam in der Voliere und schienen sich gut zu vertragen. :whistling: Sie interessierten sich wohl auch mal für sein Nest, was Hänschen sehr energisch verteidigte. Lange Zeit ließen sie sich abhalten. Doch ich hatte die Pennantsittiche unterschätzt. Sie töteten eines Tages Hänschen, der mutig und entschlossen sein Nest verteidigte, hätte ich es nicht bemerkt, hätten sie Helenchen auch noch getötet. :cursing:


    So ging ein wechselvolles Leben von zehn Jahren jäh zu Ende. ;(Hänschen war hin und her gerissen zwischen dem Leben mit Menschen und dem als Vogel in einem "artgerechten" Umfeld. Aus seinem Schicksal habe ich sehr viel über Vögel, insbesondere Papageien, gelernt: Wie ist das Seelenleben eines von Hand aufgezogenen Papageis? In wiefern kann ein solcher Papagei noch das Leben eines Papageien führen. Welches Leid hat er ertragen müssen bei der Entscheidungsfrage Vogel oder Mensch? Ich wollte, dass er ein normales Vogelleben lebte, schon weil ich der Überzeugung bin, dass ein Mensch die sozialen Bedürfnisse eines Vogels nur unzureichend erfüllen kann. Je höher entwickelt Papageien sind, desto schwieriger ist es für ihn, ein normales Vogelleben zu leben. Nymphen sind vergleichsweise einfach gestrickt. Wie mag es da Amazonen oder Graupapageien ergehen, wie würden wohl handaufgezogene Aras leiden? Schließlich musste ich noch bitter erfahren, wozu "wilde" Papageien im Stande sind. Selbst wenn es lange gut geht, kann die Vergesellschaftung verschiedener Arten in einer sogar recht großen Voliere zu tragischen Zwischenfällen führen.


    Die übrigen Nymphen gab ich wegen der Pennansittiche weg. :(