"Otto Köhler war eine der großen Persönlichkeiten in der Verhaltensforschung. (...)
Otto Köhler und sein Team waren Pioniere auf dem Gebiet der experimentellen Untersuchungen zur Erforschung der geistigen Fähigkeiten der Vögel. Eine ihrer wichtigsten Fragestellungen war, ob Vögel eine Vorstellung von einer Menge haben.
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Otto Köhler und sein Team wollten es wissen. Sie machten sich an die Arbeit. In eine Reihe stellten sie z. B. acht Futterschälchen auf. Jedes wurde mit einem Pappdeckel zugedeckt, der wiederum jeweils mit einer anderen Anzahl von Punkten versehen war. Die Punkte waren nicht regelmäßig wie die Punkte auf einem Würfel, sondern unterschiedlich gezeichnet. D. h., einige Punkte waren größer als die anderen, wieder andere hatten unregelmäßige Ränder. Man ließ der Fantasie freien Lauf. Zuerst wurde eine Elster auf die Anzahl von fünf Punkten dressiert. Wie man das macht? Das ist gar nicht so schwer, wie man zunächst glauben könnte. Köhler zeigte der Elster ein Musterkärtchen mit fünf Punkten. Nachdem sie es lange genug inspiziert hatte, musste sie unter den acht Schälchen dasjenige auswählen, auf dessen Deckel fünf Punkte gezeichnet waren. Die Elster trippelte zum richtigen Schälchen, stieß gekonnt mit dem Schnabel den Deckel mit fünf Punkten weg und holte sich das Futter als Belohnung heraus. Überraschend schnell hatte sie gelernt, worum es ging.
Das oberste Gebot in der Verhaltensforschung ist es, Fehler durch unabsichtliche menschliche Einflussname zu verhindern. Das ist nicht immer ganz einfach und erfordert viel Anstrengung. Bei den Versuchen, ob Vögel Mengen erkennen, durfte keiner der anwesenden Forscher das Ergebnis kennen. Zudem wurden immer wieder Kontrollexperimente durchgeführt, bei denen die Forscher den Raum verließen und nur eine Filmkamera den Versuchsablauf filmte.
Zu den Spitzenkandidaten beim Erfassen von Mengen gehören Kolkraben, Elstern, Graupapageien und Amazonen (eine Papageienart). Sie können auf einen Blick eine Menge von sieben erfassen. Wellensittiche und Dohlen schaffen es bis zu sechs und Tauben bis zu fünf Objekten. (...)"
(Anmerkung: Hervorhebung durch Fettdruck von mir)
Quelle
Birmelin, Immanuel (2012): Von wegen Spatzenhirn! Die erstaunlichen Fähigkeiten der Vögel, Franckh-Kosmos-Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart