Nochmal etwas ausführlicher zu dieser Thematik:
Je weniger ein Haltungssystem den aus dem Freileben bekannten Verhaltensweisen (Stichwort: Ethogramm) angepaßt ist (zu beachten sind u. a.: Sozialstruktur, Größe des Haltungssystems, Einrichtung, Klima, Lichtspektrum, Belichtungszeiten, Futterpräferenzen), desto weniger Elemente des natürlich angelegten Verhaltens können gezeigt werden. Je weniger Möglichkeiten zum Ausleben natürlich angelegten (arteigenen) Verhaltens ein Haltungssystem bietet, desto mehrAnpassungen werden dem/den Vogel/Vögeln abverlangt und desto mehr Abweichungen und Ersatz-Verhaltensweisen stellen sich ein. Eine als typisch zu benennende Ersatz-Verhaltensweise zeigt sich beispielsweise in mangels arteigenem Partner auf den Mensch (Halter/in) projiziertem Sexualverhalten. Ein weiteres Beispiel stellt das durch fehlende arteigene Sozialkontakte verursachte Dauerschreien und übersteigerte Aggressionsverhalten dar. Zu benennen sind natürlich auch Überbesatz und ungeeignete Zusammenstellungen. Lantermann: "Für den Tierpfleger lautet das oberste Gebot bei der Papageienhaltung, artgemäße Haltungsbedingungen nicht nur im Hinblick auf die Ernährung und Größe der Unterkunft zu schaffen, sondern auch sein Augenmerk auf die "Qualität" der Paar- oder Gruppenbeziehung der Vögel (...) zu richten. (Lantermann, W. (1999): Papageienkunde, Kapitel: Artgemäße Papageienhaltung, Unterkapitel 5. Verhaltensstörungen, Parey Buchverlag, Berlin, S. 239). Als letztes aus einer ganzen Reihe möglicher Beispiele sei das aus räumlichen Defiziten resultierende Nichtfliegen-(Können) genannt.
Zusammenfassend und vereinfachend: Das Vorenthalten von Voraussetzungen, welche es dem/den Vogel/Vögeln ermöglichen, wesentliche Elemente des arteigenen Verhaltens auszuleben, führt zu (Verhaltens)Defiziten. (Verhaltens)Defizite können nur in bestimmten Verhaltensbereichen und bis zu einem bestimmten Level so kompensiert werden, daß sich keine (manifesten) Verhaltensabweichungen herausbilden. Derartige Defizite führen oftmals, sofern sie sich über längere Zeiträume erstrecken, zu nur noch sehr schwer (oder nicht mehr) reversiblen Verhaltensstörungen.
Ich nehme an, daß die Inhalte der vorhergenden Abschnitte in ihrem grundsätzlichen Aussagewert vernünftiger Weise nicht zu relativieren oder zu bestreiten sind.
Also nochmals: Defizitäre Haltungssysteme tragen ganz wesentlich zur Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten/Verhaltensstörungen bei.
Folglich: Der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Verhaltensabweichungen und/oder Verhaltensstörungen ist am wirksamsten durch die Verfügbarmachung artangepaßter (am sog. "Normalverhalten" orientierter) Haltungssysteme vorzubeugen.
Das sehen (ausgehend von den USA) die mittlerweile vielfach ihre "verhaltenstherapeutischen Dienste" anbietenden sog. "Behavioural Consultants" etwas anders. Hierzu Andrea Juppien: "Nach ihrem Verständnis bedürfen die "Normalverhaltensweisen" gehaltener Papageien einer Art Verhaltensmodifikation nach dem lernpsychologischen Prinzip der "Verstärkung durch Belohnung". Demnach spielt die Zähmung, das Erbringen von Nachahmungsleistungen sowie die Prägung auf den Menschenpartner eine wesentliche Rolle im "Erziehungsprogramm" von Papageien. Daß sich ein solches Programm nach den europäischen Erfahrungen vielfach als kontraproduktiv erweist und Verhaltensstörungen oft geradezu begünstigt, scheint bislang in den USA nicht diskussionswürdig zu sein." (Juppien, A. (1998 Statistische Erhebungen zum Auftreten von Verhaltensstörungen bei Großpapageien in Menschenobhut, in: Parrot Biology, Vol. 2, Jun. 1998, Arndt-Verlag, Bretten, S. 58 )
Diese "Behavioral-Cosultanting-Welle" ist mittlerweile auch in den europäischen Ländern angekommen und hat sich zu einem zusätzlichen (eigenständigen) Geschäftszweig rund um die Papageienhaltungs-Szene mit Telefon- und Vorortberatung, dem Angebot und Verkauf diversen Zubehörs sowie der Publikation entsprechender "Ratgeber" entwickelt.
Ich nehme an, daß auch diese Feststellung nicht bestritten wird. Sollten wider Erwarten dennoch Zweifel daran bestehen, so genügt das Eintippen der Begriffskombinationen "behavioral consultant parrots" oder "behavioural cosultant parrots" (Anm. es sind zwei Schreibweisen, die angelsächsische und die amerikanische, geläufig) oder "verhaltensberatung papageien" in eine I-Net-Suchmaschine, um allein schon aus der Vielzahl der Internetpräsenzen Rückschlüsse auf die Verbreitung dieser "Schule" ziehen zu können.
Zur Erinnerung: Defizitäre Haltungssysteme tragen ganz wesentlich zur Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten/Verhaltensstörungen bei. Artangepaßte Haltungssysteme, welche das Ausleben des "Normalverhaltens" - soweit eben in menschlicher Obhut überhaupt machbar - ermöglichen, beugen der Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten/Verhaltensstörungen vor.
Die erwähnte "Schule" pusht (jedenfalls in weiten Teilen) - ob gewollt oder nicht spielt keine Rolle - eine Halter/innen-Einstellung, welche nicht mehr prioritäres Augenmerk auf artangepaßte Haltungssysteme mit der Ermöglichung essentiellen "Normalverhaltens" als wesentlichstem Faktor für die physische und psychische Gesunderhaltung der Gefiederten legen muß. Sie arbeitet auf eine Modifikation (also: Abänderung) der "Normalverhaltensweisen" bis hin zur Wegdressur von Verhaltenselementen hin (vgl. auch Zitat Juppien), welche den "problemfreien" Umgang mit den Gefiederten auch in unadäquaten Haltungsumgebungen und Situationen (Stichwort: integrierte Wohnzimmerhaltung) suggeriert. In letzter Konsequenz bedeutet dies eine Unterdrückung und Abänderung von Teilen des Normalverhaltens und somit eine menschengemachte (und für den Mensch gemachte / aus menschlichen Bedürfnissen zugeschnittene) Verhaltensaberration. Die Gesamtausrichtung ist weder biologisch-ethologisch begründ- und/oder nachvollziehbar noch ethisch vertretbar.
Man kann in diesem Fall ein ähnliches Paradoxon beobachten, wie es auch den Handaufzuchtdebatten eigen ist. Von Eltern aufgezogene Jungvögel sind (sehr gut begründbar und auch begründet) psychisch und physisch stabiler als handaufgezogene Exemplare. Ihr "Handling" macht in aller Regel keine Schwierigkeiten. Trotzdem stammt mittlerweile die Mehrzahl angebotener Großpapageien aus Handaufzucht. Artangepaßte Haltungssysteme bieten die beste Gewähr für das Ausbleiben von Verhaltensauffälligkeiten/Verhaltensstörungen. Trotzdem boomt eine "Szene", die auf bewußt herbeigeführte Verhaltensanpassungen statt auf angepaßte Haltungssysteme setzt. Fazit: Neue Geschäftszweige mit gutem Marketing setzen Trends ... und ersetzen leider oft den Verstand.
Meine Empfehlung: Statt Zeit (und oft genug Geld) in verhaltenstherapeutische Beratungen und Meetings zu investieren, wäre ein Investment in ausgiebige Information über die Ansprüche der gehaltenen Art und das Bereitstellen und Herrichten artangepaßter Haltungssysteme lohnender und verspräche als "Rendite" ein Mehr an Nachhaltigkeit.
Gruß
Heidrun
Guten Abend Heidrun
warum bist Du immer so negativ?
Falls......Du magst kann ich Dir(und anderen hier) Dieses Buch als "Anfang" um mehr ueber Verhalten zu lernen nur sehr empfehlen.
Ich gehe natuerlich davon aus, das Du Dich immer weiterbildest, sei es ggfls. auch durch Literatur die auf den "ersten Anschein" evtl. nicht Deiner "normallen" Wahl an Literatur unterliegt?
Du kannst dann nachdem Du es gelesen und verstanden hast, selbst entscheiden was Du in Deiner Post wie oben angegeben.....evtl. aendern wuerdest?
Die Entscheidung es zu kaufen und zu lesen liegt selbstverstaendlich bei Dir.
http://www.amazon.com/Learning…Paul-Chance/dp/0495095648
MFG. Marcus