Teil 1
Papageienhaltung im 21. Jahrhundert - eine kleine Zusammenstellung:
Ich bin mir sehr sicher, daß die wenigsten Halter (bzw. Interessenten an der Papageienhaltung) über ein hinreichendes Wissen bezüglich des Normverhaltens und der biologischen Bedürfnisse der jeweils gehaltenen oder gewünschen Art/en verfügen. Ich bin mir ebenfalls sehr sicher, daß die meisten Halter (bzw. Interessenten an der Papageienhaltung) von einem durch nicht fachspezifische Artikel/Berichte in den (Boulevard)-Medien vermittelten - völlig undifferenzierten und "schönzeichnenden" - Bild der Exotenhaltung weit mehr angesprochen werden, als dies durch seriöse - an Biologie und Ethologie orientierter - Information der Fall (und möglich) ist.
Ich bin mir völlig sicher, daß ein Wissen über die Freilandsituation der jeweils gewünschten bzw. gehaltenen Art/en bei über 90 % der Interessenten oder Halter nur marginal oder überhaupt nicht verfügbar ist und auch kein gesteigertes Interesse am Erhalt derartiger Informationen besteht.
Ich kann meine Einschätzung auf eigene Erfahrungen (nicht nur) während meiner Tätigkeit für das Institut für Papageienforschung e. V. (IPF) sowie auf eine im Rahmen einer Studie von Rachel Schmid (s. u.) durchgeführte umfängliche Halterbefragung, auf von Adrea Juppien (ebenfalls im Rahmen einer Studie / Statistische Erhebungen zum Auftreten von Verhaltensstörungen bei Großpapageien in Menschenobhut / 3.2.2. Fragebogen für Vogelhalter) erhobene Daten und weitere thematische Analysen stützen. So konnten - um nur ein Beispiel zu nennen - lediglich 18 % der befragten Halter die Frage danach, wann die von ihnen gehaltenen Papageien die Geschlechtsreife erreichen, halbwegs zutreffend beantworten. Die im "multiple-choice-Verfahren" (Ja. Nein. Weiß nicht.) gestellte Frage danach, ob mit der Geschlechtsreife Verhaltensänderungen einhergehen, wurde von 63 % der befragten Halter mit "Weiß nicht" beantwortet. Wenn überhaupt spezifische(re) Literatur genutzt wird/wurde, so handelt/e es sich ganz überwiegend um niedrigpreisige und inhaltlich eher dürftige GU-Ratgeber.
Norbert Kummerfeld: "Für diese Gruppe besonderer Haustiere hat die erhoffte "freiwillige Selbstfortbildung" der Tierhalter überwiegend versagt. (...) Die tatsächliche Situation der Haltung von Papageien und Sittichen und die im Tierschutzgesetz formulierten Anforderungen für die Vögel und an deren Besitzer liegen immer noch weit auseinander. (...) Unwissenheit (und Uneinsichtigkeit) auf der Seite der (...) Vogelliebhaber und merkantile Strategien mancher kommerzieller Papageienhalter lassen bisher eine tierschutzgerechte Haltung der Papageien und Sittiche in vielen Fällen scheitern."
Quelle:
Kummerfeld, N. (2008 ) Die Haltung von Papageienvögeln - Anforderungen und Wirklichkeit, Klinik f. Heimtiere, Reptilien, Zier- u. Wildvögel der Stiftung Tierärztliche Hochschule, Hannover
Bei den meisten Haltern und/oder Interessenten an der Papageienhaltung steht nach wie vor der Wunsch nach einem zahmen, zutraulichen und möglichst sprechenden "Hausgenossen" im Vordergrund. Insbesondere (jedoch nicht nur) der kommerzielle Handel suggeriert seit geraumer Zeit werbewirksam und mit Erfolg, daß speziell handaufgezogene Papageien die o. g. Attribute am besten gewährleisten. Die Präferenz für Handaufzuchten wurde/wird zusätzlich durch den medialen Hype um handaufgezogene "Knuddel-Säugetiere" (Beispiel: Eisbär Knut) angeheizt. Die hinreichend bekannten und publizierten potenziellen Probleme einer derartigen Aufzuchtform werden weitestgehend ignoriert bzw. gänzlich ausgeblendet. (Ironie an) Über "Risiken und Nebenwirkungen" aufklärende Beipackzettel werden von den Anbietern nicht offeriert. (Ironie aus)
Schmid et al.: "The table also shows that the parent-bred grey parrots were in the best state of health. (...) The parent-reared birds were generally in very good health. (...) Hand-reared parrots tend to become more problematic for their owners than parent-bred (...) birds."
("So zeigte die Übersichtstabelle, daß Graupapageien aus Elternbrut über den besten Gesundheitszustand verfügen. (...) Die Vögel aus Elternaufzucht waren generell in sehr guter gesundheitlicher Verfassung. (...) Handaufgezogene Papageien neigen dazu, den Haltern mehr Probleme zu verursachen, als dies bei elternaufgezogenen Papageien der Fall ist.")
Quelle:
Schmid, R., M. G. Doherr & A. Steiger (2005): The influence of the breeding method on the behaviour of adult African grey parrots (Psittacus erithacus), Applied Animal Behaviour Science, Elsevier / orig.: Institute of Animal Genetics, Nutrition and Housing, Division of Animal Housing and Welfare, Vetsuisse Faculty of University of Berne, Bern
Die von Kummerfeld (s. o.) angesprochenen "merkantile(n) Strategien" werden überdeutlich, wenn man einen Blick auf die Internetpräsenz von beispielsweise "de Dios" (einer Zuchtanlage auf den Philippinen) wirft. Handaufzuchten dieser Anlage (die sich selbst als "Papageienfabrik" darstellt und die Schritte der "Papageienproduktion" von der Kunstbrut bis zur Handaufzucht unter der Zeile "stages of parrot production" anschaulich beschreibt) sind übrigens auch in Deutschland (legal) erhältlich. "Insider" werden die vornehmliche Bezugsquelle (die ich um Kontroversen zu vermeiden hier nicht benenne) kennen.
Schon "klassische Haustiere" (wie z. B. Hund, Katze) können Probleme verursachen. Das soll keineswegs verharmlost werden. Jedoch ist das Problempotenzial bei der Haltung des "Wildtieres Papagei" qualitativ anders und höher zu bewerten. Werner Lantermann bringt es in Frageform auf den Punkt: "Ist die Versorgung der Tiere stets gesichert? Probleme ergeben sich hierbei vor allem in der Urlaubszeit, bei Dienstreisen und Krankenhausaufenthalten. Finden sich in solchen Zeiten Mitbewohner, Verwandte oder Freunde, die sachverständig und sorgfältig die Vogelpflege übernehmen können? Zu bedenken ist außerdem, dass manche Papageien in Menschenobhut recht alt werden können. (...) Können solche Tiere über Jahre hinweg gehalten werden, oder erlischt das Interesse an ihnen innerhalb weniger Wochen oder Monate? Werden Lautäußerungen, Schmutz und Zerstörungen der Papageien toleriert? Insbesondere die großen Papageienarten (...) versursachen (...) eine Menge Schmutz und Gefiederstaub. Sie werfen Futterreste aus der Unterkunft und beknabbern Möbel, Bücher usw. (...) Manche Arten verfügen darüber hinaus über ein enormes Lautrepertoire, von dem sie häufig auch kräftigen Gebrauch machen. Sind Mitbewohner und Nachbarn bereit, dies zu tolerieren, oder sind mit der Anschaffung der Tiere zwischenmenschliche Schwierigkeiten bereits vorprogrammiert? Können die biologischen Bedürfnisse der Papageien in ausreichendem Maße berücksichtigt werden? (...) Anlagen kosten oft viel Geld in der Herstellung und Austattung. Regelmäßiger Zeitaufwand für die Instandhaltung und Säuberung ist erforderlich. Besteht auch noch nach Jahren die Bereitschaft, hierfür Kosten und Zeit zu investieren?"
Quelle:
Lantermann, W. (1994): Handbuch Papageien - Artgemäße und artenschutzorientierte Haltung, Pflege und Aufzucht, Naturbuch Verlag, Augsburg, S. 64
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